Brainfood 24.4.2020

Gestoppt  - wurde seit unserem letzten Beitrag vor einem Monat die Kettenreaktion, die Sars-Cov-2 ausgelöst hat. Unter Einsatz aller finanziellen Mittel haben die Regierungen und Zentralbanken das Schlimmste abgewendet und ein regelrechtes Feuerwerk gezündet:

 

  • Der S&P 500 Index ist um 24% gestiegen.
  • Der FANG+ Index (Amazon, Netflix, Tesla, Facebook, Google, Apple etc.) steht seit Jahresbeginn mit 10% im Plus. Home Office und Social Distancing haben eine Börseneuphorie bei Technologie Werten ausgelöst: alle Energiefirmen im S&P 500 zusammen sind noch halb soviel Wert wie Amazon oder Apple oder Microsoft. Verrückt, wenn man sich das überlegt.
  • Die Wucht der Geldflut dokumentiert am besten der Blick auf die Bilanzsumme der amerikanischen Notenbank . Seit Ausbruch der Corona Krise hat die Fed wöchentlich Liquidität im Umfang von über USD 500 Mrd. in die Finanzmärkte gepumpt. Die Notenbank kauft mittlerweile auch Junk Bonds und hat alle bekannten Spielregeln ausgehebelt.
  • Ein Domino-Stein ist trotz allen Interventionen umgefallen: der Ölmarkt hat diese Woche mit Minuspreisen bis USD 40 pro Fass der Sorte WTI Wirtschaftsgeschichte geschrieben. An Ironie nicht zu überbieten: keine zwei Wochen ist es her, seit sich der amerikanische Präsident für den Öl Deal mit Putin und Bin Salman selber auf die Schulter klopfte. Über die Probleme der Branche und ihre zweifelhaften Akteure haben wir bereits berichtet.

 

Wir stellen fest: der Kollaps an den Finanzmärkten hat nicht stattgefunden. Aber die Eingriffe der Notenbanken setzen die freie Preisbildung an den Finanzmärkten ausser Kraft. Wie das Desaster am Ölmarkt zeigt, kann Manipulation aus dem Ruder laufen und die Gefahr einer unkontrollierten Implosion war/ist durchaus real. Die Anleger sollten sich trotz Zeichen einer Stabilisierung nicht in Sicherheit wähnen. Wie ein Blogger richtig kommentiert: "the rally in US equities is the biggest disconnect from reality that we have experienced. Other bubbles at least had a risk/reward profile, even if it was extremely skewed. This market assumes things will return to normal with no long term effects. There is 0% chance of that."

Banken - entfalten in Krisenzeiten eine toxische Wirkung für die Anleger. So ist es auch im Jahr 2020. Nun darben selbst die amerikanischen Geldhäuser, die seit der Finanzkrise 2008/09 erfolgreich gewirtschaftet haben. Die ersten Quartalsergebnisse von Citigroup, Bank of America, Goldman Sachs, Wells Fargo und JP Morgan zeigen zwar noch schwarze Zahlen, aber bereits kumulierte Abschreibungen von USD 21 Mrd. Die Banken rüsten sich für Kreditausfälle der Privathaushalte, am Hypothekarmarkt und bei den Unternehmensfinanzierungen. 

Auch in Europa liegt die Branche am Boden , allerdings noch eine Etage tiefer. Erste Zahlen weisen in die gleiche Richtung, wie der  Quartalsabschluss der Credit Suisse zeigt. 

 

Allerdings ist Bank nicht gleich Bank. Eine Nische in der Branche ist bisher schadlos durch den Sturm gesegelt: es handelt sich um die Schweizer Kantonalbanken. Der Hauptgrund für das gute Abschneiden der Beteiligungspapiere mag dem tiefen Handelsvolumen und der Tatsache geschuldet sein, dass sie mehrheitlich in festen Händen liegen. Aber aufgepasst, in der Vergangenheit sind schon verschiedene Institute ins Schleudern gekommen.

Die Staatsbanken haben seit der letzten Finanzkrise ihr Hypothekarvolumen gewaltig erhöht, was knapp ausreichte, um den Erfolg aus dem Zinsgeschäft stabil zu halten. Die Zinsmargen sind jedoch der Geldpolitik der SNB zum Opfer gefallen. Ob der Sektor wieder so gut durch die Krise kommt wie 2008/09 wird sich weisen. Mit Sicherheit darf am Immobilienmarkt kein Unglück eintreten, sonst wird es eng mit dem Eigenkapital.

Den Wink mit dem Zaunpfahl im letzten Bericht zur Finanzstabilität der SNB (notabene vor Corona erschienen) sollten die Investoren beherzigen: "..Ein steigender Anteil der neuen Hypotheken für Wohnrenditeobejekte wird in Regionen mit hohen Leerstandsquoten vergeben. Zudem erscheinen die in den jüngsten Jahren in diesem Segment neu vergebenen Hypotheken besonders anfällig auf Schocks.."

 

Europa, quo vadis? - Während die europäischen Länder Schritte aus dem Lockdown in die Wege leiten und sich auf den Restart der Wirtschaft vorbereiten, zeichnet sich die nächste Phase der Krise ab: kann die Währungsunion Bestand haben? In einem bemerkenswerten Interview hat der franzöische Präsident die Ausgangslage skizziert: "..both the Union and the single currency will be threatened if the richer members, such as Germany and the Netherlands, do not show more solidarity with southern Europe. That solidarity should come in the form of mutualised debt.." - dies eine Forderung, die im Widerspruch zur Haltung der nordeuropäischen Ländern steht.

Die stellvertretende spanische Ministerpräsidentin doppelt mit der Forderung nach einem 1.5 Billionen EUR schweren Recovery Fund nach, verknüpft mit der Bedingung, dass europäische Institutionen Schulden ausgeben, die später mit neuen Einnahmen unter Kontrolle der Kommission finanziert werden. Ihre Kernaussage lautet: "It cannot be that some countries are able to support their economies in a more generous manner than others." Den aktuellen Stand fasst die NZZ treffend mit "Die EU rauft sich zusammen - wichtige Fragen bleiben offen" zusammen.

Es scheint klar: falls die Eurozone diese Krise überlebt, dann aus den gleichen Gründen wie 2008/09. Der Furcht vor einem ruinösen Auseinanderbrechen und dem Einsatz der EZB, der einzigen wirklich handlungsfähigen Institution Europas. 

What if we are wrong? - ist die Fragestellung mit der sich der FT Kolumnist Wolfgang Münchau auseinandersetzt. Der Lockdown und die damit verbundenen persönlichen Erfahrungen formen die Erwartungen und Spekulationen, wie sich Politik und Wirtschaft in der näheren Zukunft gestalten. Als Vermögensverwalter ist es unerlässlich, in Szenarien zu denken und hoffentlich frühzeitig zu erkennen, ob der allgemeine Konsens oder die eigenen Erwartungen falsch liegen. Münchaus Denkansätze, wie es anders herauskommen könnte:

 

  • Entgegen den Erwartungen gibt es ein "V shaped recovery". Die schnelle Erholung wird von Deutschland, das die Corona Krise aus medizinischer Sicht gut gemeistert hat, angeführt. Italien bleibt in Bezug auf die Verschuldung auf der sicheren Seite, das dornige Thema Corona-Bonds verschwindet in der Schublade. Die geldpolitischen Massnahmen sind überzogen und müssen korrigiert werden. Europa wurstelt weiter, notwendige Reformen bleiben aus.
  • Das schwedische Experiment geht auf. Der Verzicht auf einen Lockdown führt nicht zur medizinischen Katastrophe. Künftige Massnahmen orientieren sich am Modell des Landes.
  • Die Popularitätswerte der Regierungen sind aktuell hoch. Die Bevölkerung trägt die Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie mit relativer Gelassenheit. Was passiert aber, wenn sich die wirtschaftliche Erholung als zäh erweist? Neue und bisher undenkbare Mehrheiten könnten sich in europäischen Parlamenten durchsetzen.
  • Allgemein herrscht der Konsens, dass Donald Trump mit seinem schlechten Corona Handling die Chancen auf eine Wiederwahl vergeben hat. Jetzt spielt er jedoch die nationalistische Karte gegen China und wer weiss, sollte die Wirtschaft bis in sechs Monaten Lebenszeichen zeigen, sind auch weiter vier Jahre nicht auszuschliessen.

Erneuerbare Energie - ist ein Mantra in Politik und Wirtschaft. Der Kampf gegen den Klimawandel steht ganz oben auf der Agenda. Bundespräsidentin Sommaruga z.B. möchte die Wirtschaft mit verstärkten Investitionen in den Klimaschutz nach der Corona Krise ankurbeln. Visionäre wie Elon Musk bauen ihr Geschäftsmodell auf nachhaltiger Energie und Mobilität auf. Die Finanzbranche wiederum hat schon längst das Thema für sich entedeckt. Es gibt Geld zu verdienen.

Gerade die Finanzindustrie erweist sich als anfällig für "Mogelpackungen". Wir haben bereits über das Phänomen des "Greenwashing" und Fragezeichen bei nachhaltigen Finanzanlagen berichtet.

 

Pünktlich zum 50. Earth Day hat der umtriebige Filmer Michael Moore einen Blick hinter die Fassade der "Nachhaltigkeits-Industrie" geworfen. Ganz im Sinne von Brainfood sei die Dokumentation für ereignisarme Stunden im Lockdown Modus empfohlen. Es lohnt sich, auch die andere Seite der Medaille anzuschauen.

Weekend Brainfood ist unsere Auswahl an Beachtenswertem, das im Verlauf der Woche aufgefallen ist. Kuratiert und ergänzt mit eigenen Meinungen.

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