Brainfood 26.10.2018

Wetterwechsel an der Börse

 

  • Etwas Positives zum Beginn: Es geht turbulent zu und her an den Aktienmärkten. Die Überraschungen liegen zumeist auf der negativen Seite. Für Schweizer Anleger ist es deshalb ein Glück, dass die drei defensiven Schwergewichte Roche, Novartis und Nestlé auch dank passablen Quartalsergebnissen wieder zu einer Stütze für die Portfolios geworden sind. Die Outperformance gegenüber dem SPI seit Mitte Jahr spricht für sich.
  • GAM, Schweizer Asset Manager mit zuletzt rund CHF 146 Mrd. verwalteten Vermögen und rund 900 Mitarbeitern, geht es nicht gut. Der Management Stil von CEO Friedman ist schon seit einem Jahr im Visier von Insideparadeplatz , aber die Probleme des Unternehmens haben seit Mitte Jahr nach dem Abgang eines Fondsmanagers und der Liquidation wichtiger Produkte erst richtig Fahrt aufgenommen. Der Titel liegt seit Anfang Jahr mit 65% im Minus. Selbst die zurückhaltende NZZ fordert nun einen Wechsel im Management. Insgesamt wieder eine unschöne Episode für den hiesigen Finanzplatz.
  • AMS ist ein erfolgreicher Chiphersteller, der seit einiger Zeit gute Geschäfte mit Sensoren für die Gesichtserkennung mit Smartphones macht. Rund 40% des Umsatzes tätigt das Unternehmen mit Apple. Seit Monaten geht es mit dem Titel bergab und der Kursrutsch von 30% diese Woche ist quasi noch das Sahnehäubchen. Erstaunlicherweise sind die publizierten Geschäftszahlen recht solid und auch der Ausblick für 2019 und 2020 wurden vom Management bestätigt. Das Misstrauen unter den Anlegern ist allerdings gross, was mit dem Apple Klumpenrisiko nicht verwundert. Trotzdem, es wird interessant sein zu sehen, ob hier nicht das Kind mit dem Bad ausgeschüttet wurde.
  • Schindler darf man sicher als einer der Schweizer Industrie Champions bezeichnen. In den ersten 9 Monaten des Jahres ist der Umsatz auf CHF 7.9 Mrd (+8%) und der Konzerngewinn auf CHF 691 Mio. (+7%) gestiegen. Das ist nicht spektakulär, aber das Unternehmen wächst seit Jahren stetig und ist einer jener "Compounder", die ein bekannter Fondsmanager nach dem Motto "making money while sleeping soundly" gerne ins Portfolio legt. Nun, auch Schindler musste ziemlich Federn lassen. Der Titel verlor allein seit Anfang Oktober 17% an Wert. Der Blick auf die lange Sicht zeigt, dass es vorderhand noch keinen Grund zu grosser Sorge gibt.
  • Northrop Grumman - Der amerikanische Rüstungskonzern ist uns im Zusammenhang mit der angepeilten Kündigung des Atomwaffenvertrags zwischen Amerika und Russland aufgefallen. Während die Weltöffentlichkeit ein neues Wettrüsten befürchtet, zeigt der wirtschaftliche Erfolg von Firmen wie eben Northrop, dass die Geschäfte mit Waffen schon seit langem blendend laufen. Man muss sogar feststellen, dass die Investoren mit Anlagen in diesem umstrittenen Sektor sogar weit überdurchschnittliche Renditen erzielen, was den Thesen der ESG (Nachhaltigkeits)Bewegung zuwiderläuft. Für das 3. Quartal hat Northrop von einem Umsatzzuwachs von 23% auf USD 8.1 Mrd. und einer Steigerung des operativen Gewins von 41% auf USD 1.2 Mrd. berichtet. Die Schweizerische Nationalbank hält 700'00 Aktien im Wert von 200 Mio USD. Der norwegische Staatsfonds hat sie aus dem Anlageuniversum ausgeschlossen.
  • Bier zum Discountpreis gibt es zur Zeit bei AB Inbev. Der weltgrösste Bierkonzern ist mit den Zahlen zum dritten Quartal extrem unangenehm aufgefallen. Zwar wurde der Umsatz um 4.5% auf USD 14.7 Mrd. und der EBIT um 7.1% auf USD 4.68 Mrd. gesteigert. Aber diese Zahlen unterschritten alle Erwartungen in allen Regionen. Und damit das Bier erst recht ungeniessbar wird, verkündete die Gesellschaft eine Dividendenkürzung um 50%. Die Investorenschaft reagiert verschnupft und der Titel fällt um 10%, was seit Anfang Jahr nun einen Verlust von 30%.

 

Automobil - In einer umfassenden Analyse nimmt die Financial Times den Zustand der deutschen Automobilindustrie unter die Luppe und fragt, ob VW, BMW und Daimler ein "iPhone Moment" bevorsteht. Analog zum Schicksal von Nokia, das Unternehmen verschwand innert weniger Jahre in der Bedeutungslosigkeit, steht gemäss den Autoren möglicherweise die Existenz dieser wichtigen Branche auf dem Spiel.

Tatsache ist, dass Deutschlands Autobauer (finanziell) äusserst erfolgreich operieren. Die Aktien handeln aber auf einem sehr bescheidenen Niveau, das entweder eine Rezession anzeigt oder auf schwerwiegende Probleme hindeutet. Und mit Schwierigkeiten haben die Automobilproduzenten in der Tat zu kämpfen. So mussten die meisten Anbieter in den letzten Wochen die Erwartungen für das laufende Jahr nach unten korrigieren: Belastungen durch höhere Zölle, Verzögerungen bei der Zulassung von Dieselfahrzeugen, rsp. Fahrverboten und zunehmende Unsicherheiten um den Brexit verderben die Stimmung an den Börsen. Neben den kurzfristigen Behinderungen drohen insbesondere langfristige Gefahren durch den Übergang zu Elektroautos, autonomen Fahrzeugen oder auch strukturellen Veränderungen wie die Sharing Economy bei welcher der Autobesitz neu definiert wird.

Dass die Herausforderungen existentiell sind, zeigt die Aussage von Herbert Diess (CEO von VW): "..such an industry can crash faster than many people realise.....I see our chances of keeping the lead position at 50:50".

Was soll man von diesem Pessimismus halten? Die drei deutschen Konzerne haben im vergangenen Jahr zusammen EUR 26.4 Mrd. in Forschung & Entwicklung gesteckt. Es ist aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar, warum es ihnen nicht gelingen sollte, Tesla und Co. in Schach zu halten. Die Marktstellung insbesondere bei Premium Fahrzeugen ist einmalig dominant. Zu guter Letzt zeigt der weitere Blick auf die Branche, dass auch eine aufziehende Konjunkturschwäche Grund für die Schwäche sein könnte, denn die Aktienkurse der Konkurrenz sind ebenfals auf Talfahrt. Kurzum: Bevor die Deutschen abgeschrieben sind, wird noch die Luft aus der Tesla Blase entweichen, rsp. die Schwächsten der Konkurrenz das Zeitliche segnen.

 

 

Netflix - ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Das Unternehmen, gegründet 1997, startete als Online Videohändler und pulverisierte in den ersten Geschäftsjahren den etablierten Videoverleih "Blockbuster". Im Jahr 2002 startete Netflix mit 600'000 Mitgliedern an der Börse, mittlerweile zählt das Unternehmen 130 Millionen Abonnenten und ist weltweit verfügbar. Die Aktie ist mit Sicherheit ein Stern am Börsenfirmament mit einer jährlichen Kurssteigerung von 41% (!). Die keineswegs erfolglose Konkurrenz, Disney z.B., ist zumindest am Aktienmarkt zur Randnotiz degradiert.

Unter Reed Hastings ist ein wahrer Medien Champion herangewachsen, der mit Streaming nicht nur den Vertrieb von Inhalten revolutioniert hat, sondern selber auch zu einer Grösse im Produktionsgeschäft geworden ist. Die Strategie jedoch, aufwendige Serien zu produzieren, ist riskant. Alleine in diesem Jahr gibt Netflix USD 8 Mrd. für neue Serien und Filme aus.

Die explosiven Kosten haben trotz starkem Wachstum bei Umsatz und Abonnentenzahlen ihren Preis. So dreht der Free Cash Flow immer weiter in den negativen Bereich und die Schulden des Unternehmens erreichen nach der jüngsten Bondemission den enormen Stand von USD 10 Mrd.

Netflix Tag der Wahrheit kommt, wenn die Blase an den Kreditmärkten platzt. #Timestamp

 

Lake Diamond - ist ein Startup vom Genfersee, das sich mit der Herstellung von synthetischen Diamanten für industrielle Anwendungen beschäftigt. Das Unternehmen lanciert in Zusammenarbeit mit Swissquote ein ICO zur Mittelbeschaffung. Der Tokensale auf der Basis eines Ethereum Blockchains soll rund CHF 60 Mio in die Kasse spülen. Die zufliessenden Mittel sind für die Erweiterung der Produktionskapazitäten bestimmt. Aktuell hat Lake Diamond Kapazitäten zur Herstellung von 15'000 Diamond Plates , bis im Jahr 2020 sollen 300'000 gefertigt werden.

Wie funktioniert der Tokensale? Interessierten Geldgebern werden bis zu 110 Mio. Token zu einem Preis von CHF 0.55 angeboten. Damit erhält der Käufer das Recht, entweder im firmeneigenen e-Commerce Shop Produktionskapazität für Diamanten zu erwerben oder am Umsatz von Kundenaufträgen zu partizipieren. Last but not least können die Token in einem nicht organisierten Sekundärmarkt an andere Ethereum kompatiblen Wallets verkauft werden. 

In der Finanzpresse liegt der Fokus auf dem innovativen Finanzierungsmodell, das den traditionellen Kapitalmarkt umschifft. Es gibt jedoch wichtigere Aspekte, die es zu erwähnen gilt:

 

  • Das Geschäft von Lake Diamond ist hoch riskant, zudem sind potente Konkurrenten wie z.B. Element 6 , eine Tochtergesellschaft von De Beers, bereits im Markt etabliert.
  • Über den Business Plan ist gar nichts bekannt. Umsatzschätzungen, Kosten, Management Vergütungen: Fehlanzeige.
  • Die Geldgeber haben keinerlei Anteils- und Mitspracherechte im Gegensatz zu einer klassischen Partizipation am Aktienkapital.
  • Kosten der Emission: stattliche 7% des Tokensale Erlöses fliesst an die ICO Partner, u.a. Swissquote.
  • Der Sekundärhandel findet in einem intransparenten und unregulierten Umfeld ab. Der Preisfindung für die Token liegen keine offensichtlichen Bewertungsmöglichkeiten zu Grunde.

 

Die Vorteile für die Firmenbesitzer sind auf der anderen Seite klar ersichtlich. Die stringenten Kotierungsbestimmungen eines etablierten Börsenplatzes (z.B. Reportingpflichten) können umgangen werden. Es gibt keine Verwässerung der Besitzverhältnisse durch die Kapitalbeschaffung. Die Besitzer der Token haben keinerlei Mitspracherechte z.B. bezüglich der Zusammensetzung des Verwaltungsrats, der Entlöhnung des Managements, oder bei Firmentransaktionen. Desweiteren können die Tokenbesitzer nicht von einer allfälligen Wertsteigerung profitieren, falls das Unternehmen erfolgreich wirtschaftet.

 

Fazit: Hier handelt es sich um eine hochriskante Spekulation bei der die gängigen Regeln für Investoren ausser Kraft gesetzt werden. Die Vorteile liegen einseitig bei den Firmenbesitzern. Was der Nutzen des Ether Blockchains im ICO ist, erschliesst sich dem Beobachter nicht. Und letztlich mutet es merkwürdig an, dass eine namhafte Bank wie Swissquote sich für diese Transaktion einspannen lässt.

 

Weltpostverein - gegründet 1874 in Bern, ist eine Sonderorganisation der UNO mit 192 Mitgliedsstaaten. Die Universal Postal Union ist nun dank Donald Trump ins Scheinwerferlicht der internationalen Politik geraten. Um was geht es? Die Organisation hat über die lange Zeit ihres Bestehens ein internationales Regelwerk zur Förderung grenzüberschreitenden Postverkehrs etabliert. Das komplexe System von Gegengeschäften und Gebühren war einst dazu gedacht, den Postverkehr zwischen Entwicklungs- und Industrieländern erst zu ermöglichen. Stein des Anstosses sind aus Sicht der Amerikaner die sogenannten "Terminal Due Rates", d.h. die letzte Meile beim Postversand über die Landesgrenze. Das Entgelt, das z.B. die schweizerische Post für einen Brief aus China erhält ist auf ca. CHF 2.30 pro Kilogramm Briefpost beschränkt. Mit anderen Worten: die Post erhält für einen 100 Gramm schweren Brief, der in China aufgegeben wurde, von der chinesischen Post eine Vergütung von 23 Rappen. Es ist selbstredend, dass Handling und Weitertransport dieser Sendung innerhalb des Landes damit nicht kostendeckend ist.

Gemäss Trump kostet die indirekte Subventionierung chinesischer Exporte den US Postal Service gegen USD 300 Mio. jährlich. Mit der Kündigung des Abkommens will er diesem Umstand zu Leibe rücken. Das Problem mit den "Terminal Due Rates" ist auch in der Schweiz bekannt. Präzise Aussagen zu den Kosten, die der Post entstehen gibt es keine. Dass sich die Schweiz als Gründungsmitglied und Gastgeber des Weltpostvereins um eine Ansage drückt, wundert selbstredend nicht.

Bei kritischem Hinsehen kann man den Amerikanern durchaus zustimmen, dass diese merkwürdige Praxis ein Ende finden muss. Zur Subventionierung der chinesischen Billiglieferungen kommt hinzu, dass die meisten Sendungen falsch deklariert sind und Ausfälle bei der Mehrwertsteuer resultieren (Beitrag SRF). Den Konsumenten muss es scheinbar nicht kümmern, denn wie dieser Leitfaden zeigt, ist es ein Kinderspiel, den Zoll (ungestraft) übers Ohr zu hauen.

Die Feststellung darf gemacht werden: hier hält ein althergebrachtes System der Dynamik der Zeit nicht Stand und die Vorzüge der Globalisierung verkommen zur Groteske.

Weekend Brainfood ist unsere Auswahl an Beachtenswertem, das im Verlauf der Woche aufgefallen ist. Kuratiert und ergänzt mit eigenen Meinungen.

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