Der Blick vom Weissenstein

 

Im Rahmen unserer "Mini-Serie" haben wir uns mit Persönlichkeiten aus unserem Netzwerk über ihre Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen in den vergangenen Wochen im Ausnahmezustand unterhalten. Es kommen jeweils zwei Vertreter*innen aus demselben Bereich zu Wort.

 

Diese Woche beleuchten wir das Thema Kunst. Im Gespräch berichten Dr. Katharina Ammann, designierte Leiterin des Kunsthauses Aarau und die Zürcher Galeristin Petra Gut aus ihrem Alltag.

Liebe Katharina, besten Dank, dass Du Dich für dieses Interview zur Verfügung stellst.

Wie geht es Dir?

Es geht mir gut, sogar sehr gut. Ich gehöre zu jenen privilegierten und derzeit zu schlechtem Gewissen verpflichteten Menschen, die zuhause in Ruhe arbeiten, mit Genuss aufwändig kochen und dabei den vollen Lohn beziehen können. Mir ist klar, dass dieser besondere ‘Cocooning-Zustand’ vorübergehend und fragil ist und ich mit den Auswirkungen der Corona-Krise eher früher als später auf empfindliche Weise konfrontiert sein werde.

 

Wie hat sich Dein Alltag verändert?

Das für mich als Kunsthistorikerin zentrale kulturelle Leben ist radikal aus der Öffentlichkeit verschwunden und damit viel Inspiration aber auch der Druck, an dem zunehmend dichten und Event-getriebenen Kulturbetrieb permanent teilzuhaben, sei es als Organisatorin oder Konsumentin von Vernissagen, Previews, Künstlergesprächen, Ausstellungen, Workshops, Tagungen, Atelierbesuchen, Führungen, Empfängen oder Kunstreisen.

 

Plötzlich gibt es mehr Raum für stille Arbeiten, etwa vertiefte Recherchen und Textarbeit, was ich durchaus erholsam finde. Was ich vermisse, ist der informelle Austausch mit meinem Team und meinen Kolleginnen und Kollegen. Diese Qualität eines unstrukturierten Miteinanders lässt sich auch durch häufigere Zoom-Meetings nicht auffangen.

 

Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt. Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?

Die Begegnungen mit andern sind so rar geworden, dass sie mir teilweise auf geradezu physische Weise fehlen. Die Frage «Wie geht es dir?» hat eine neue Bedeutung erhalten. Mit Freundinnen spreche ich häufiger als sonst, andere Kontakte sind vorübergehend im Winterschlaf. Mit meinem sonst oft geschäftlich reisenden Mann geniesse ich eine neue Zweisamkeit. Als einschneidendste und besorgniserregendste Massnahme in meinem privaten Umfeld nehme ich die Kontaktsperre zu meiner betagten Mutter wahr. Ob und in welcher Weise sich die Qualität meiner Beziehungen insgesamt durch die Krise verändert, lässt sich für mich derzeit nicht absehen.

 

Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?

Die Digitalisierung, einer der Megatrends unserer Zeit, erfährt durch die Coronakrise einen enormen Schub in allen Lebens- und Arbeitsbereichen. Diese technologische Entwicklung wird unsere Gesellschaft langfristig vermutlich viel stärker verändern als die konkrete Erfahrung der Coronakrise selbst. Unsere augenblicklichen Befindlichkeiten (ich beziehe mich auf die Situation in der Schweiz) halte ich für weniger prägend: Wir müssen uns in Verzicht üben und neue Formen der Interaktion lernen. Viele von uns können der Entschleunigung sogar einiges abgewinnen, ähnlich einer Entschlackungs- oder Fastenkur, die unseren Lifestyle-Konzepten durchaus entspricht.

 

Nachhaltiger als unsere temporär verschobenen gesellschaftlichen Verhaltensmuster, fürchte ich, werden für die Kunst die wirtschaftlichen Nachwehen des Lock-Downs sein, die wir in den nächsten Budgetjahren mit Sicherheit zu spüren bekommen.

 

Interessant ist, welche Rolle im derzeitigen Katastrophendiskurs die «kreativen Lösungen» spielen. Trotz dieser individuellen «Kreativität» dürfen wir uns nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass wir uns in Zeiten dieser Krise willig und dankbar in die Hände unserer sorgenden Regierung begeben und voller Vertrauen alle Verantwortung an sie delegiert haben. Angesichts dieser kollektiven Folgsamkeit und des globalen Ausmasses der Krise wird es auch nach Jahren noch interessant sein, den Spuren des Wandels innerhalb unseres Demokratie- und Machtverständnisses nachzuforschen.

 

Gibt es für Dich auch positive Aspekte der Krise?

Als konkretes Beispiel liesse sich bemerken, dass sich in der Kunstwelt die vergangenen Wochen viel im Bereich der Online-Vermittlung getan hat. Das Aargauer Kunsthaus arbeitet schon seit Jahren an digitalen Formaten, aber aufgrund des Ausfalls des Normalbetriebs sorgten jetzt nebst dem gegenwärtigen Bedürfnis auch die frei gewordenen personellen Ressourcen für einen regelrechten Entwicklungsschub. In der Kunstvermittlung etwa für Kinder und Jugendliche gehört das Aargauer Kunsthaus seit jeher zu den führenden Institutionen der Schweiz, und so erstaunt auch der grosse Erfolg nicht, den sie im Moment mit den interaktiven Online-Workshops erzielen. Es ist jedoch nicht so, dass sich das Museum gerade neu erfindet, sondern vielmehr seine Kompetenzen der Situation entsprechend bündelt und ausbaut, um nachhaltig wirksame Formate zu etablieren.

 

Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?

So wie uns gute Kunst niemals mit einfachen Wahrheiten konfrontiert, sondern uns bestenfalls aus verschiedenen Perspektiven präzise beobachtend zum Nachdenken anregt, werde ich es nicht wagen, hier Lehren zu postulieren. Fangen wir lieber wieder an, selbstständig zu denken.

 

Welches ist Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?

Falls es uns dank des Corona-bedingten Innehaltens gelingt, aus dem Kulturbetrieb auch zukünftig ein bisschen Tempo zu nehmen, fände ich das produktiv. Denn im Grund hat Kunstgenuss vor allem damit zu tun, ob es gelingt, uns auf ein Werk einzulassen und uns darin zu vertiefen; das fordert Hingabe, Fokus und Zeit. Nehmen Sie genug davon mit.

 

Zur Autorin:

Katharina Ammann übernimmt im Juli 2020 die Leitung des Aarauer Kunsthauses. Derzeit ist sie Abteilungsleiterin und Mitglied der Institutsleitung am Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft in Zürich. Sie hat als Kuratorin am Kunstmuseum Solothurn und am Bündner Kunstmuseum gearbeitet und ist in der Fundaziun Nairs, in der Ankaufskommission des Kantons Thurgau und in der Kommission für Bildende Kunst der Stadt Zürich engagiert.

Liebe Petra, besten Dank, dass Du Dich für dieses Interview zur Verfügung stellst. 

Wie geht es Dir?

Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Ich leide etwas unter dem «Social-Distancing»!

 

Wie hat sich Dein Alltag verändert?

Dass wir unsere Galerie im März schliessen mussten, war natürlich auf allen Ebenen einschneidend für mich. Da wir an verschiedenen Projekten arbeiten, hat sich mein Arbeitspensum dennoch nicht reduziert.

 

Eine wahre Herausforderung ist für mich die Situation zuhause. Mit den Kindern, die den ganzen Tag zuhause sind, ergeben sich neue Aufgaben. Das Home-Schooling und die Betreuungsorganisation für sieben Tage in der Woche ist zuätzlich zu meinen beruflichen Tätigkeiten sehr aufwendig.

 

Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt. Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?

Aufgrund meines sehr vollen Terminkalenders habe ich mich bereits im Vorfeld mit Freunden und der Familie oft per Telefon ausgetauscht. Somit hat sich in dieser Hinsicht für mich nicht so viel verändert. Teilweise treffen wir uns nun zum Facetime Apéro, was ein persönliches Treffen jedoch nicht vollständig ersetzen kann. Was ich sehr vermisse, sind die geselligen und gemütlichen Abendessen mit unseren Freunden und der Familie.

 

Auch mit den Kunden hatte ich bereits vor der Krise viel Kontakt per Email. Den persönlichen Kontakt vermisse ich dennoch sehr. Viele unserer Kunden sind sehr eindrückliche Persönlichkeiten. Der intellektuelle Austausch ist stets sehr inspirierend.

 

Ich blicke auf langjährige Freundschaften und Kundenbeziehungen zurück und darf zufrieden feststellen, dass sich die Qualität der Beziehungen trotz des Social-Distancing bisher nicht verändert hat.

 

Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?

Die Firmen werden ihre Outsourcing Politik überdenken, um die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren. Ich glaube nicht, dass sich die Globalisierung aufhalten lässt, aber für einige Zeit, wird sie sicherlich gebremst.

 

Die Digitalisierung wird nun noch schneller voranschreiten als ursprünglich geplant. Viele Firmen waren auf diesen Fall nicht optimal vorbereitet. Auch der Kunstmarkt hat sich in dieser kurzen Zeit diesbezüglich stark verändert. Vor einigen Jahren noch wäre eine online Ausstellung undenkbar gewesen. Kunstwerke online zu verkaufen war schlichtweg tabu bei den Künstlern. Hier deutet sich jedoch eine Kehrtwende bei den Künstlern und den Käufern an.

 

Das Reisen wird ebenfalls für eine längere Periode eingeschränkt bleiben. Wir werden unsere wunderschöne Schweiz geniessen können. Dies wird ebenfalls unserer Umwelt zu Gute kommen.

 

Gibt es für Dich auch positive Aspekte der Krise?

Da wir ja offiziell gezwungen wurden zu schliessen, konzentrieren wir uns aktuell mehr auf unseren digitalen Auftritt. Ein Mammutprojekt!

 

Wir entwickeln zurzeit eine neue Webseite, bei der auch ein virtueller Rundgang durch die Galerie möglich ist. Wir werden zukünftig regelmässig online Ausstellungen zusammenstellen. Teilweise werden unsere Kunden bald auch direkt auf der Webseite Kunstwerke erwerben können.

 

Ebenso arbeiten wir zukünftig mit einer App, bei der der Kunde unsere Auswahl an Bildern bequem bei sich im Wohnzimmer an die Wand projizieren kann. Dank der Krise haben wir unsere Anstrengungen zur Digitalisierung des Geschäfts massiv vorangetrieben.

 

Neben den Privatkunden bieten wir auch in Zukunft für Unternehmen Art Advisory an. Wir unterstützen die Corporates beim Sammlungsaufbau von der Konzeption bis zur Ausführung. Uns ist es ausserordentlich wichtig, dass sich die Unternehmenskultur und die Werte einer Unternehmung auch in deren Kunstsammlung widerspiegeln.

 

Viele unserer Kunden sind im Moment zuhause und haben Musse und Zeit, sich mit der Kunst auseinanderzusetzen. Wir bekommen sehr viele Anfragen per Email.

 

Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?

Ich glaube, dass das Corona Virus vielen auch einmal lehrt, dass "immer schneller nicht immer besser ist". Wir als Gesellschaft wurden nun in die Schranken gewiesen: jedes Wochenende mit dem Flugzeug irgendwo anders hin zu jetten, da eine Party und da eine Einladung zum Dinner - gleichzeitig rastlos ins Burn-out rennen - das war schlichtweg zuviel.

 

Nun merkt wohl jeder, dass man auch einfach mal zuhause bleiben kann. Wir lernen wieder "Kleinigkeiten" zu schätzen, die Natur zu geniessen und das lokale Angebot an Lebensmitteln neu zu entdecken.

 

Welches ist Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?

Gib niemals auf. Wir sind stärker, als wir denken.

 

Zur Autorin:

Sie selbst war einst erfolgreiche Investmentbankerin. Sie jettete pausenlos rund um den Globus, lebte stets aus ihrem Koffer und kämpfte mit Jetlag - bis es ihr zu bunt wurde. Heute lebt Petra Gut mit ihrer Familie am Zürichsee und führt ihre eigene Galerie für zeitgenössische Kunst mit dem Schwerpunkt auf Fotografie. Sie vertritt namhafte Künstler wie Horst P. Horst, Terry O'Neill, David Yarrow, Sebastian Copeland, Rankin sowie die Schweizer Fotografen Hannes Schmid und Alberto Venzago, um nur einige zu nennen. Viele ihrer Künstler engagieren sich für soziale Zwecke oder sind im Umwelt- und Tierschutz tätig.

Ruhiger ist ihr Leben auch in Zeiten der Pandemie keineswegs geworden. Ein Porträt über die Zeit in der Krise, sich verändernde Geschäftsmodelle, Freundschaften und das Leben danach.

 

www.petragut.com

 

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Stephan Bolliger

Gratulation zu diesen wirklich gelungenen Interviews. Wichtig ist für mich die Erkenntnis, wie einfach wir uns beeinflussen lassen und aus dem Respekt oder Angst vor einer unbekannten Zukunft plötzlich ein anderes und ungewohntes Verhalten an den Tag legen. Mit einer gesunden Portion Demut wäre das andere Verhalten nicht nötig.

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