Der Blick vom Weissenstein

 

Unsere Mini-Serie geht in die 8. Runde. Der Alltag normalisiert sich und es ist an der Zeit, dem Home Office Look auf Wiedersehen zu sagen. Zum Thema gut #Angezogen melden sich zwei Experten zu Wort: Julian Huber führt in der 3. Generation die Hut-Manufaktur Risa und Reto Caprez hat sich mit Alferano auf stilvolle Mode für den eleganten Herrn  spezialisiert.

Lieber Reto, vielen Dank, dass Du Dich für dieses Gespräch zur Verfügung stellst. 

Wie geht es Dir?

Persönlich geht es mir den Umständen entsprechend gut. Beruflich ist die Situation sehr belastend.

 

Wie hat sich Dein Alltag verändert?

Ich nehme das Corona-Virus und die vom Bundesrat ausgesprochenen Verhaltensempfehlungen ernst und befolge diese weitgehendst. Ich habe jedoch weder gesundheitliche noch existenzielle Ängste. Weder für mein nahes Umfeld noch für mich selber. Ich versuche mich mit möglichst viel common-sense zu verhalten und zu bewegen. Beruflich hat das Virus enorme Auswirkungen auf meine zwei Unternehmen. Mein Fachgeschäft für Herrenmode ist seit Wochen geschlossen, und auch der Direktverkauf (Business-to-Consumer) von Massbekleidung ist fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Der wirtschaftliche Schaden ist in beiden Betrieben bereits sehr gross und wird mit jeder Woche grösser. Unser Geschäft ist sehr stark saisonal geprägt. Die Monate März, April und Mai machen einen Drittel und mehr des gesamten Jahresumsatzes aus. Die Lage ist kritisch.

 

Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt? Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?

Unterschiedlich. Familie und Freunde verhalten sich wie erwartet: respektvoll, rücksichtsvoll und pragmatisch. Im weiteren Umfeld erlebe ich jedoch auch teilweise ein erstaunliches Verhalten. Offenbar hat sich das Virus auch in den Köpfen festgesetzt und zu tiefer Verunsicherung bis zu Angst geführt, das dann wieder zu einem irrationalen Verhalten verleitet. Ich beziehe diese Beobachtungen auf Personen, welche nicht zur Risikogruppe gehören. Eine weitere, für mich erstaunliche Feststellung ist, wie schnell wir (mich eingeschlossen) bereit sind, Freiheit und Selbstbestimmung gegen eine vermeintliche (pseudo?) Sicherheit einzutauschen.

 

Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?

Schnelles und zielgerichtetes Handeln beim Feststellen von Missständen und/oder Optimierungsmöglichkeiten. Eine notwendige Veränderung hinauszuschieben ist unklug und birgt grosse Risiken.

 

Gibt es für Dich auch positive Aspekte der Krise?

Sicher bietet jede Krise auch Opportunitäten und der wirtschaftliche Druck erhöht die Umsetzungsgeschwindigkeit für Veränderungen enorm. Das sind sicherlich positive Aspekte. Das Corona-Virus bzw. der Lockdown stellt für unsere Branche und mein Unternehmen jedoch eine grosse Bedrohung dar. Dementsprechend kann ich der aktuellen Situation wenig Gutes abgewinnen.

 

Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?

Agieren solange es möglich ist. Die Organisation sollte jederzeit optimal aufgestellt sein.

 

Wie lautet Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?

Appelle an die Öffentlichkeit sind nicht mein Ding. Meinen fast erwachsenen Töchtern rate ich jedoch, auch in solchen Ausnahmesituationen der eigenen Urteilskraft zu vertrauen, sich mit einem breiten Meinungsspektrum vertraut zu machen und Expertenmeinungen grundsätzlich kritisch gegenüberzustehen.

 

Zum Autor:

Reto Caprez hat nach KV und HWV während knapp zehn Jahren in Grosskonzernen in diversen internationalen Sales/Marketingpositionen gearbeitet. Seit 2003 ist er selbständiger Unternehmer und Inhaber der Alferano Mode AG mit Showrooms in Zürich, Basel und Genf sowie einem Fachgeschäft für Herrenbekleidung an der Talstrasse in Zürich.

www.alferano.com

 

Lieber Julian, vielen Dank, dass Du Dich für dieses Gespräch zur Verfügung stellst.

Wie geht es Dir?

Mir geht es durchzogen. Wir haben einige sehr intensive Wochen hinter uns.

 

Wie hat sich Dein Alltag verändert?

In geschäftlicher Hinsicht sind die einschneidendsten Auswirkungen die Schliessung unserer Läden und die Absage diverser Veranstaltungen, welche für uns wichtig sind (bspw. die Basler Fasnacht, das Sechseläuten, unser traditioneller Verkauf ab Fabrik, Jugendfeste usw.). Wir haben drei Verkaufsläden, die wir schliessen mussten und glücklicherweise ab dem 11. Mai wieder öffnen durften. Durch die fehlenden Aufträge mussten wir Kurzarbeit anmelden. Zudem mussten wir sicherstellen, dass unsere Mitarbeitenden geschützt sind. Wir haben diverse Massnahmen getroffen, um die Abstands- und Hygieneregeln des Bundes umzusetzen. Dies verändert unseren Arbeitsalltag natürlich stark. Privat habe ich mehr Zeit für mich, was ich sehr geniesse.

 

Wie hast Du seit Anfang März Dein engeres Umfeld erlebt? Hat sich die Qualität dieser Beziehungen verändert?

Man hat sich natürlich nicht mehr getroffen. Ich habe bspw. meinen Vater in den letzten zwei Monaten nur zweimal auf Distanz gesehen. Was ich aber finde ist, dass eine Beziehung teifgründiger wird. Wenn man sich nicht mehr so oft sieht, macht man sich häufiger Gedanken um die Freunde. Ja, und ich telefoniere öfters als vorher, man tauscht sich nun eher auf diesem Weg aus.

 

Was sind aus Deiner Sicht die nachhaltigsten Konsequenzen von Corona?

Die Wertschätzung von Gütern, die plötzlich nicht mehr verfügbar sind. Die Hinterfragung vom Ursprung eines Produktes. Gewisse Ansichtsweisen von beruflichen Gruppen verändern sich positiv (bspw. Ärzte, Pflegepersonal, Berufschauffeur usw.), um einige Beispiele zu nennen.

 

Gibt es für Dich auch positive Aspekt der Krise?

Auf alle Fälle. Man konzentriert sich auf das Wesentliche und hinterfragt gewisse Abläufe und Verhaltensmuster, sei es im Geschäft, wie auch persönlich. Privat habe ich wie gesagt mehr Freizeit, da die Vereinsaktivitäten momentan still liegen. Meine Freundin und ich sind anfangs April nach Hägglingen gezogen und haben alles alleine gezügelt. Wir sind bereits perfekt eingerichtet, was bei mir normalerweise nicht der Fall ist. Im Geschäft sind wir daran, unser Produktsortiment zu überarbeiten und auf das Wesentliche zu reduzieren. Hierbei entstehen immer kreative Momente, wo auch neue Produkte oder Modelle entstehen.

 

Als unmittelbare Folge des Lockdowns haben wir eine neue Website (www.stroh-art.ch) erstellt, auf der man online verschiedene Produkte aus Stroh bestellen kann, welche sich auch zuhause herstellen lassen. So haben wir eine zusätzliche Einnahmequelle generiert, falls wir gar nicht mehr in der Firma arbeiten dürften.

 

Neu haben wir auch einen Webshop auf unserer Homepage (www.risa.ch) integriert. Dann den Fabrikladen in Hägglingen in ein anderes Stockwerk verlegt, um durch die grössere Fläche mehr Kunden bedienen zu können. Wir haben eine Woche lange umgebaut und neu geplant und die Öffnungszeiten stark verlängert, damit wir mehr Zeit und natürlich auch Platz für unsere Kunden haben.

 

Welches sind die Lehren, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten?

Die Gesellschaft sollte nicht alles als selbstverständlich nehmen, und man sollte respektvoller miteinander umgehen. Ganz klar ist für mich, dass der Bund vermehrt auf inländische Produkte setzen sollte (bspw. Schutzmasken). Durch die Corona-Krise wird die wirtschaftliche Abhängigkeit sichtbar, dabei gibt es viele Produkte, die in der Schweiz hergestellt werden könnten. Darauf sollte die Bevölkerung künftig stärker achten und bewusster inländische Produzenten berücksichtigen.

 

Wie lautet Dein Appell oder Leitsatz an die Öffentlichkeit?

Nie den Mut verlieren! Geh immer mit offenen Augen durch das Leben und nimm dein Umfeld bewusst wahr - nur so kann man kreativ und innovativ bleiben.

 

Zum Autor:

Dass Julian Huber einmal als Hutmacher im von seinem Grossvater gegründeten Unternehmen tätig sein würde, hätte er nie geglaubt. Als gelernter Werkzeugmacher hatte er nie die Absicht, in die Hut-Manufaktur einzusteigen. Nach einem längeren Sprachaufenthalt in Australien bot ihm sein Onkel überbrückungsweise eine Stelle in der Risa Hutwerkstatt an. Das Handwerk des Hutmachers faszinierte ihn jedoch so stark, dass er nach anderthalb Jahren bereits mit in das Geschäft einstieg.

 

Heute führt Julian das Geschäft zusammen mit seiner Mutter in der 3. Generation. Durch innovative Ideen wird der Filz- und Strohhut als modisches Accessoire, von "frech bis elegant", wieder in den Vordergrund gerückt. Risa beliefert Kunden im In- und Ausland.

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