Brainfood 28.6.2019

10'000 - Ist angeblich eine "magische" Wegmarke (gemäss Bilanz), welche der Swiss Market Index überschritten hat. Die gleiche Publikation empfiehlt den Anlegern aus aktuellem Anlass: "Bloss nicht aussteigen!"

Das Wirtschaftsmagazin erläutert, dass die fehlende Euphorie der Anleger und die Aussicht auf eine geldpolitische Wende in Amerika fast zwingend zu weiteren Kursgewinnen führen. Die Sache mit der lockeren Geldpolitik ist allerdings so eine Sache. Nicht immer enden sinkende Zinsen zwingend mit Kursgewinnen. Im Gegenteil: wie dieser Chart zeigt, gingen die zwei letzten Zinssenkungszyklen in den USA mit stark fallenden Kursen einher.

Zinsen und Anlegerstimmung sind nicht die einzigen Faktoren für die unmittelbare Kursentwicklung. Zu berücksichtigen wären auch die Bewertung der Märkte oder das disruptive Potential der trumpschen Handels- und Aussenpolitik (China/Iran). Den ersten Punkt, die Bewertung, kann man abschätzen. Diese ist in Amerika hoch (Shiller P/E) bis sehr hoch (Verhältnis Kurs/materielle Buchwerte ). Der zweite Punkt bleibt eine Wild Card mit steigenden Risiken , wie auch der Economist notiert.

Zum SMI diese Beobachtung: Von den 20 Firmen sind gerade deren acht (Nestlé, Novartis, Roche, SGS, Geberit, Givaudan, Lonza und SIKA) für den Rekordstand verantwortlich. Alle anderen liegen zwischen 15 und 87% (!) unter ihren jeweiligen Höchstwerten.

Goldmedaillen - sind in Österreich normalerweise den Skifahrern vorbehalten. Eine Auszeichnung hat sich allerdings auch das Finanzministerium verdient. Im Jahr 2017 lancierte das Land eine hundertjährige Anleihe mit einem Coupon von 2.1%. Bereits damals war das Erstaunen gross, dass der Staat 3.5 Mrd. EUR emittieren konnte. Eine namhafte Wirtschaftsredaktion konstatierte dazu: "So manchem Anlage-Experten bleibt angesichts der Begeisterung der Investoren für Österreichs Jahrhundert-Bond der Zwetschgenknödel im Halse stecken."

Nun, die Knödel scheinen gemundet zu haben, denn für die Anleger (in diesem Fall wahrscheinlich ein paar Versicherungen, Pensionskassen und die europäische Zentralbank..) war es ein unglaublich gutes Geschäft . Mit dem Zins zusammen resultierte bis heute ein Gewinn von 60%.

Aber es kommt noch besser: Die Österreicher nutzen die Gunst der Stunde und stockten die Anleihe diese Woche zum vierten Mal um 1.25 Mrd. EUR auf, diesmal mit einer Rendite von 1.18%. Das schmackhafte Angebot, immerhin mit einer positiven Rendite versehen, wurde vierfach überzeichnet.

Weltweit notieren Staatsanleihen im Wert von über 12 Billionen USD negativ. So sieht also eine Blase konkret aus.

Slack - ist vorerst der letzte Neuzugang an der US Börse aus der Venture Capital Küche. Das Unternehmen ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Slack ist erst fünf Jahre alt. Dass es den Gründern gelungen ist, ein Start-up in dieser kurzen Zeit mit einer Bewertung von 18 Milliarden USD an den Markt zu bringen, beeindruckt.

Hinter dem Erfolg steckt Stewart Butterfield (Paywall). Angeblich hat er das Potential als Visionär in die Fussstapfen von Steve Jobs zu treten.

Was Slack nicht von UBER, Lyft und Co. unterscheidet: Mit einem Umsatz von USD 400 Mio und Verlust von 140 Mo USD bewegt sich die Börsenbewertung ebenfalls im Reich der Träume. Ist so etwas rational für eine Firma, die de facto eine Chat/Messenger App anbietet, die nur 95'000 zahlende Kunden unter 10 Millionen Nutzern hat und deren Hauptkonkurrent sein Produkt gratis abgibt?

 

Wir können diese Frage nicht beantworten, denn eigentlich verstehen wir das Produkt von Slack gar nicht. An dieser Stelle kommt uns der Digitalexperte Peter Hogenkamp von Scope zu Hilfe. Er ist mit seinem Unternehmen begeisterter Nutzer von Slack und hat dazu einen informativen Beitrag verfasst. Wir  werden auf alle Fälle seinem Rat Folge leisten und selber einen Feldversuch starten.

 

Noch ein Wort zur Slack Aktie: das Unternehmen hat wie Spotify den Weg des "Direct Listing" gewählt, d.h. es wurden keine neuen Aktien ausgegeben und kein neues Geld aufgenommen. Slack verfügt momentan über genügend Cash im Umfang von 800 Mio. USD. Daraus resultiert aber ein gewichtiger Nachteil für potentielle Einsteiger. Die bisherigen Investoren können jederzeit und ohne Restriktionen Titel auf den Markt bringen. Wenn man bedenkt, dass die letzte Finanzierungsrunde zu 7 Mrd. USD über die Bühne ging, gibt es durchaus Luft nach unten.

Rohstoffe  - sind eine unberechenbare Anlageklasse und entwickeln sich selten nach den Erwartungen der Investoren:

 

  • Der Ölpreis ist zwar aufgrund der Spannungen im Nahen Osten leicht gestiegen. Aber USD 65 für ein Fass Brent sind 25% weniger als vor einem Jahr als die Sanktionen gegen Iran verschärft wurden. Und kaum jemand erinnert sich daran, dass in den Jahren 2012 bis 2014 zeitweise weit über 100 Dollar zu zahlen waren. 17 Mio. Fass Öl passieren täglich die Strasse von Hormuz, was den Ölmarkt offensichtlich wenig beunruhigt.

 

  • Kobalt verfügt über hervorragende Perspektiven. Allein das absehbare Wachstum der e-Mobilität wird die Nachfrage auf lange Zeit um jährlich 15% steigen lassen. Trotzdem: der Preis des Metalls ist innerhalb eines Jahres um 65% gefallen. Grund dafür ist die unerwartet starke Ausweitung der Produktion in Kongo, notabene aus kleingewerblicher Produktion, die keineswegs ESG Standards genügen.

 

  • Eisenerz ist wie Kupfer ein konjunktursensitiver Rohstoff. Der Preis sollte also im Zeichen der gedämpften Aussichten für die Weltwirtschaft eher fallen. Aber weit gefehlt: Nach dem Produktionsstopp in der Unglücksmine von Vale in Brasilien und einem anhaltenden Bauboom in China ist das Angebot temporär knapp. Der Preis klettert auf den höchsten Stand seit fünf Jahren.

 

Wir stellen also fest: Die Entwicklung einzelner Rohstoffe ist kaum abzuschätzen und die Frage stellt sich, ob das Thema im Allgemeinen den Anleger überhaupt beschäftigen sollte. Die Finanzbranche hebt gerne den Diversifikations-Charakter hervor und entwickelt die dazu passenden Angebote. Rohstoff ETFs sind dabei erste Wahl, aber wie beispielsweise der Thomson Reuters/Core Commodity Index ETF von Lyxor zeigt, diversifizieren die Anleger nur ihre Erträge nach unten (-46% über 13 Jahre, rsp. -4.6% p.a. in USD).

Nebst den offenen Fragen um den Nutzen der Diversifikation kommen die Anlage-Produkte häufig zur Unzeit. Erinnerungswürdig ist der Boom in den seltenen Erden im Jahr 2010. Die riskante Wette ging nicht auf, grosse Verluste folgten und die UBS z.B. liquidierte 2015 ihren Rare Earth ETF. Tempi passati: der Handelsstreit zwischen China und Amerika macht es möglich, dass die Anleger heute mit einer Neuauflage des Themas, z.B. von Swissquote, "beglückt" werden.

 

Weekend Brainfood ist unsere Auswahl an Beachtenswertem, das im Verlauf der Woche aufgefallen ist. Kuratiert und ergänzt mit eigenen Meinungen.

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