Brainfood 31.12.2019

Fünf Beobachtungen - zum Jahr 2019

 

Comeback

Im Schatten des Brexit Getöses schreitet die Erholung in Griechenland voran. Der Aktienmarkt legt um 48% zu, die Rendite 10jähriger Staatsanleihen fällt von 4.5% auf 1.4%. Tsipras wird abgewählt.

 

Die Entdeckung des Jahres

Ein Komiker namens Selenski: Er wirbelt in der Ukraine und wird in den Impeachment Sumpf von Trump hineingezogen. Es gibt wieder Gespräche mit den Russen, Gefangene werden ausgetauscht. Die Zustimmungsrate ist hoch, der Kapitalmarkt zufrieden (die Zinsen der Staatsanleihen fallen) und der IWF vergibt wieder Kredit.

 

Bank des Jahres

Die schwedische Reichsbank ist mutig genug, sich von den Negativzinsen zu verabschieden. Nach fünf Jahren hebt sie den Leitzins am 19.12.19 auf 0%. Reaktion der schwedischen Krone: sie steigt. Es geht also doch.

 

Rätselhaft

Seit September gibt es Probleme am USD Geldmarkt. Mit unglaublichen Summen muss die amerikanische Zentralbank am Repo Markt intervenieren. Warum das so ist, versteht niemand so genau. Die Bilanzausweitung des FED in kürzester Zeit ist beeindruckend.

 

Zeitgeist 

Der Börsengang von Beyond Meat war eines der Irrlichter des Jahres und trotzdem symbolhaft für das Thema unserer Zeit: Nachhaltigkeit. Fleisch ist zunehmend verpönt. Zum Jahreswechsel titelt gar die Financial Times "Peak Meat". Auch der Bogen zum Klimaschutz lässt sich schlagen. Wie Thomas Schmidheiny im Interview festhält: "Weniger Fleisch essen bringt viel mehr als Flugscham."

Ausschau halten  - gehört zum alljährlichen Jahresend-Ritual in der Finanzbranche. Besonders interessant ist die Übung nach einem unglaublich erfolgreichen Aktienjahr , das sämtliche Erwartungen in den Schatten gestellt hat. Aus der Warte des Beobachters nehmen wir zwei gänzlich unterschiedliche Einschätzungen zur Kenntnis:

Da findet sich zum einen die durchaus optimistische Haltung von André Kistler, formuliert in einem Börsenpanel der FuW: "...Die Bewertungsexpansion an den Börsen wird weitergehen, denn die Aktienkurse werden wegen der Geldschwemme schneller steigen als der Gewinn der betreffenden Unternehmen. Auch die reale Dividendenrendite ist nahe einem Rekordhoch. Das zeigt: Aktien sind noch viel zu billig.."

 

Auf der anderen Seite ist es genau ein Blick auf die Bewertungsexpansion, der nachdenklich stimmt. Der  "Buffett Indicator" z.B., welcher das Verhältnis der gesamten Börsenkapitalisierung zum Bruttosozialprodukt zeigt, hat in den USA zum Jahreswechsel mit 152% einen historischen Höchststand erreicht. Ob die anhaltende Geldschwemme genügt, die Kurse weiter nach oben zu treiben, bleibt abzuwarten. Immerhin: der Erfinder der Kennzahl handelt offenbar selber danach. Angesichts der hohen Börsenkurse findet Warren Buffett zur Zeit keine Anlagemöglichkeit für die 128 Mrd. USD Liquiditätsreserve von Berkshire Hathaway.

 

Satya Nadella - ist die "Person of the Year" der Financial Times. Beim Amtsantritt des Microsoft CEO vor fünf Jahren war der Software Gigant nach Versäumnissen und Irrungen seines Vorgängers Steve Balmer beinahe in die technologische Irrelevanz abgeglitten. Nadellas Management Ansatz basiert auf einer Kultur der Bescheidenheit und Kollaboration, was nicht unbedingt das Markenzeichen von Microsoft war, wenn man sich an die gloriosen Tage unter dem Duo Gates und Balmer zurück erinnert. Gleichzeitig setzte er alles auf die Karte "Cloud Computing" und ging mit dem 26 Mrd. Dollar schweren Kauf von Linkedin eine riskante Wette im Bereich der sozialen Netzwerke ein, die sich anscheinend nicht zuletzt Dank einer ausgeprägten "laisser faire" Strategie auszahlt. 

Zusammenfassend steht die bisherige Ära Nadella für einen ausserordentlich bemerkenswerten Turnaround Microsofts, der das Unternehmen hinter Apple zum wertvollsten Konzern wachsen liess und dies unter Vermeidung von Negativschlagzeilen mit Milliardenbussen, wie sie für Google und Facebook zur unangenehmen Normalität geworden sind. Im Buch "Hit Refresh" beschreibt Nadella seine Mission als "Kurator der Unternehmenskultur", die zum Ziel hat, die "Seele von Microsoft wiederzufinden und die Rolle als globales Unternehmen zu definieren und Empathie mit grossen Ideen zu verknüpfen, um wirklich etwas in der Welt zu bewegen".

Das mag esoterisch klingen, aber dem Aktionär kann es nur recht sein. Und wenn man darüber nachdenkt und sich an die Vorgänge bei der Credit Suisse erinnert, beschleicht einen das Gefühl, dass eine Führungsperson mit Haltung selbst bei einem Grosskonzern durchaus einen Unterschied macht, positiv oder negativ.

 

Nachdenken über Werte - Dazu regt das Buch "Von Geld und Werten" der Autoren Jorge Frey und Eugen Stamm an. Der Text versteht sich als Leitfaden für eine erfolgreiche Vermögensübergabe zwischen den Generationen, denn Erbe, Geld, Vermögensübergang und damit verbundene Emotionen sind ein Minenfeld für Familien. Ein Zitat aus dem Buch fasst die Problematik so zusammen: "In fast allen Familien gibt es Konflikte, das ist die Regel und nicht die Ausnahme und auch gar nichts Schlimmes. Vieles ist lösbar, man muss es nur angehen. Im schlimmsten Fall werden Konflikte über Generationen vererbt." 

Deshalb lohnt sich vorausschauende Planung, der Einbezug der Nachkommen, offene Kommunikation, Gleichbehandlung der Erben ohne erzieherische Massnahmen und der respektvolle Umgang mit unerschiedlichen Haltungen in Geldfragen. 

 

Japan  - sieht einem ereignisreichen 2020 entgegen, nicht zuletzt weil das Land mit sicherlich perfekt organisierten olympischen Sommerspielen aufwarten wird. Für das gute Gelingen gibt das Land anscheinend über USD 25 Mrd. aus. Aber damit ist es nicht getan, denn soeben hat die Regierung ein Stimulus Programm über 122 Mrd. USD bekanntgegeben, um den nacholympischen Hangover abzufedern. Auch im achten Jahr seiner Amtszeit (die bisher längste eines japanischen Premiers) verlässt Shinzo Abe also der Mut nicht. Dass das Staatsdefizit wie jedes Jahr um die 3% des Bruttosozialproduktes erreicht, interessiert dabei eigentlich niemanden. Der absolute Schuldenstand Japans hat ohnehin Dimension erreicht, die jedes Vorstellungsvermögen sprengen. Es ist deshalb nicht anzunehmen, dass die "Schwarze Null" je ein deutscher Exportschlager in Japan wird.

 

Auch anderweitig macht Nippon Schlagzeilen. Da wäre zum einen der Jahrestag des Allzeithöchst an der japanischen Börse. Am 29.12.1989 erreichte der Nikkei 38'916 Punkte. Mindestens so spektakulär wie das Platzen der Kursblase ist die Zinsentwicklung seither. Anfang der 90er Jahre rentierten 10jährige JGB's (Japanese Government Bonds) noch über 8%.

Dass die Bevölkerung stark altert ist bekannt. In diesem Jahr verzeichnet Japan nun die tiefste Geburtenrate seit Beginn der Datenaufzeichnung im Jahr 1899. 500'000 mehr Japaner sind 2019 gestorben als geboren. Der demografische Trend ist neben der stabilen Wirtschaftsentwicklung der Grund dafür, dass die Arbeitslosenrate mit 2.4% ultra tief ist. Der Mangel an Arbeitskräften wiederum führt dazu, dass Japan mit Innovation in Automation und Robotik die Produktivität anheben muss. Der Kleiderkette Uniqlo ist es mittlerweile gelungen, menschliche Arbeit in der Logistik praktisch zu eliminieren. Die demografiebedingte Vollbeschäftigung bringt zumindest für die berufstätigen Frauen auch positive Perspektiven. So läuft unter dem Hashtag #KuToo eine Kampagne, die den Arbeitsalltag der Japanerinnen von seltsamen Kleidervorschriften (High Heels) oder dem Verbot von Brillen befreien will. Firmen müssen ihre Kultur anpassen, wenn sie die knappen Arbeitskräfte bei der Stange halten wollen.

Weekend Brainfood ist unsere Auswahl an Beachtenswertem, das im Verlauf der Woche aufgefallen ist. Kuratiert und ergänzt mit eigenen Meinungen.

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